Ausgleichszahlung für Flugreisende

Mit der Verordnung (EG) Nummer 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates wurden die Rechte von Flugreisenden bei Verspätungen oder Annullierungen erheblich ausgeweitet. In der Praxis gibt es immer wieder Streit um eine Ausgleichszahlung bei Verspätung oder Annullierung.

Dieser Artikel gibt Ihnen eine Übersicht über ihre Rechte als Fluggast. Er befasst sich mit der Frage, wann eine Ausgleichszahlung wegen außergewöhnlicher Umstände verweigert werden darf und wann nicht.

Verspätung bei Abflug

Verspätet sich der Abflug bei einer Flugstrecke bis zu 1500 km um 2 Stunden oder mehr, bei innergemeinschaftlichen Flügen zwischen 1503 1500 km um 3 Stunden oder mehr oder bei allen anderen Flügen um 4 Stunden oder mehr, muss dem Flugreisenden eine Mahlzeit und Erfrischungen im angemessenen Verhältnis zur Wartezeit zur Verfügung gestellt werden, notfalls eine Hotel Unterbringung finanziert werden und auch die Reisekosten vom Flughafen zum Hotel und zurück übernommen wird. Wird eine solche Betreuung nicht angeboten, können Fluggäste die Kosten für Mahlzeiten und Erfrischungen, Hotelunterkunft, anderweitige Beförderung und Telekommunikationsdienste im notwendigen, angemessenen und zumutbaren Rahmen erstattet verlangen (EuGH, C-12/11).

Verspätung bei Ankunft über 3 Stunden oder Annullierung oder Nichtbeförderung

Bei einer Annullierung, Nichtbeförderung gegen den Willen des Fluggastes (zum Beispiel bei Überbuchung) oder einer Verspätung von mehr als 3 Stunden erhalten die Fluggäste zusätzlich Ausgleichszahlungen in Höhe von 250 € bei Flügen mit einer Flugstrecke bis zu 1500 km, 400 € bei allen innergemeinschaftlichen Flügen zwischen 1500 km und 3500 km und 600 € bei allen sonstigen Flügen (EuGH, Urteil C-402/07 und C-432/07: maßgeblich ist nach Rechtsprechung des EuGH die Kompensation des Zeitverlustes von mindestens 3 Stunden).

Die Ausgleichszahlung ermäßigt sich auf 50 % der genannten Beträge, wenn bei einer Entfernung bis zu 1500 km mit einem vom Luftverkehrsunternehmen angebotenen Alternativflug die Verspätung weniger als 2 Stunden beträgt, bei innergemeinschaftlichen Flügen zwischen 1500 und 1500 km weniger als 3 Stunden oder bei allen anderen Flügen weniger als 4 Stunden beträgt.

Die Berechnung der Entfernungen erfolgt nicht nach Luftlinie auf der Karte, sondern nach der sogenannten Großkreisentfernung (berechnen können Sie diese Strecke hier).

Eine Annullierung liegt auch dann vor, wenn der Fluggast an einem anderen Flughafen ankommt als demjenigen, der sein ursprüngliches Endziel war. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn das Luftfahrtunternehmen dem Fluggast eine anderweitige Beförderung zum ursprünglichen Endziel oder einem mit dem Reisenden vereinbarten Zielort anbietet; dann kann dieser Flug aber noch verspätet sein. Dies gilt auch dann nicht, wenn der tatsächliche Ankunftsflughafen und der erreichte Flughafen dieselbe Stadt oder Region betrifft (zum Beispiel Düsseldorf statt Köln); auch dieser Flug kann aber noch verspätet sein.

Verfrühter Abflug stellt eine Annullierung dar

Nach aktuellster Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vom 21.12.2021 stellt auch ein nicht angekündigter verfrühter Abflug eine Annullierung im Sinne der Richtlinie dar (Rechtssachen C-146/20, C-188/20, C-196/20, C-270/20, C-263/20). Wörtlich führt das Gericht aus: Ein Flug ist als „annulliert“ anzusehen, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen ihn um mehr als eine Stunde vorverlegt.
Etwas anderes gilt nur dann, wenn dem Kunden der verfrühte Abflug rechtzeitig mitgeteilt wird, wobei 14 Tage als Richtlinie gelten. Eine Verkürzung der Informationsfrist kann dann greifen, wenn zeitlich ähnliche Alternativangebote bestehen.

Verspätung über 5 Stunden

Bei einer Verspätung von mindestens 5 Stunden kann der Reisende nach seiner Wahl Erstattung der Flugkosten für nicht zurückgelegte Reiseabschnitte oder einen Rückflug zum 1. Abflugort oder eine anderweitige Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen oder eine Fortsetzung der Reise zu einem späteren Zeitpunkt verlangen und zusätzlich noch eine Ausgleichszahlung.

Berechnung der Verspätung

Maßgeblich für die Verspätung ist die planmäßige Ankunftszeit am Endziel (EuGH, C-11/11).

Ausschluss der Ausgleichszahlung

Ein Anspruch des Reisenden auf Erhalt einer Ausgleichszahlung besteht nicht, wenn das Luftverkehrsunternehmen nachweisen kann, dass die Verspätung von mehr als 3 Stunden oder die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

Als „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 können Vorkommnisse angesehen werden, die ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm nicht tatsächlich beherrschbar sind. Was ein außergewöhnlicher Umstand ist, ist angesichts des Ziels der Verordnung, dem Flugreisenden bei starker Verspätung oder Annullierung einen Ausgleich zu geben, eng auszulegen.

Es gibt mittlerweile eine Vielzahl von Entscheidungen, die sich mit einzelnen außergewöhnlichen oder gewöhnlichen Umständen befassen, wobei die nachfolgende Auflistung keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.

[Update 11.6.2020] Kommt es durch einen Randalierer dazu, dass ein Flugzeug zwischenlanden muss und dadurch eine erhebliche Verspätung entsteht, kann ein außergewöhnlicher Umstand vorliegen (EuGH C-74/19). Das gilt aber nicht, wenn die Fluggesellschaft einen auffälligen Passagier an Bord lässt oder selbst für dessen Verhalten verantwortlich ist. Außerdem muss sie unter Umständen eine schnellere Verbindung (auch mittels einer anderen Fluggesellschaft) anbieten, um den Zeitverlust aufzuholen. Eine Verweisung auf einen eigenen Flug am nächsten Tag ist nicht ausreichend.

Die Kollision eines Flugzeugs mit einem Vogel sowie die dadurch möglicherweise verursachte Beschädigung ist mangels untrennbarer Verbundenheit mit dem System zum Betrieb des Flugzeugs ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens und von ihm nicht tatsächlich beherrschbar und damit ein außergewöhnlicher Umstand (EuGH, C-313/15; BGH, Beschluss vom 20.02.2018, X ZR 23/17).

Kein außergewöhnlicher Umstand ist hingegen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs das vorzeitige Auftreten von Mängeln an bestimmten Teilen eines Flugzeugs, da ein solcher Ausfall untrennbar mit dem System zum Betrieb des Flugzeugs verbunden ist. Dieses unerwartete Vorkommnis ist vom Luftfahrtunternehmen tatsächlich beherrschbar, da es seine Aufgabe ist, die Wartung und den reibungslosen Betrieb der Flugzeuge, die es zum Zweck seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten betreibt, sicherzustellen. (EuGH, Urteile vom 22. Dezember 2008, Wallentin-Hermann, Motorgebrechen C-549/07, EU:C:2008:771, Rn. 23, vom 31. Januar 2013, McDonagh, C-12/11, Vulkanausbruch Eyjafjallajökull, EU:C:2013:43, Rn. 29, sowie vom 17. September 2015, van der Lans), Kraftstoffpumpe, C-257/14, EU:C:2015:618, Rn. 36; BGH, Triebwerksschaden, Urteil vom 12.11.2009, Xa ZR 76/07). Anders wäre dies zu betrachten, wenn die Mängel durch Sabotageakte oder terroristische Handlungen verursacht worden wären.

Rollt ein Gepäckwagen, der nicht ausreichend gesichert war, und durch den Turbinenstrahl eines anderen Flugzeugs in Bewegung versetzt wurde, gegen ein abgestelltes Flugzeug, stellt dies keinen außergewöhnlichen Umstand dar (BGH, Urteile vom 20.12.2016, X ZR 75/15 und X ZR 77/15

Kollidiert  ein Treppenfahrzeug oder eine Gangway eines Flughafens mit einem geparkten Flugzeug stellt dies ebenfalls keinen außergewöhnlichen Umstand dar (EuGH, Beschluss vom 14.11.2014, C-394/14).

Ausfall aller Check-In-Schalter ist ein außergewöhnlicher Umstand (BGH, Urteil vom 15.01.2019, X ZR/18).

Schneefall am Ankunftsort oder auch ein Erdbeben oder ein Orkan sind für sich genommen nicht schon außergewöhnliche Umstände, sondern nur dann, wenn die hierdurch hervorgerufenen Bedingungen für die Durchführung eines geplanten Fluges auch bei Aufbietung aller möglichen und zumutbaren Mittel nicht in der Weise verändert oder sonst beeinflusst werden können, dass ein hiervon betroffener Flug planmäßig durchgeführt werden kann (BGH, Urteil vom 25.09.2018, X ZR 76/17).

Ein Streik der Beschäftigten an den Passagierkontrollen der Luftsicherungsbehörden kann außergewöhnliche Umstände begründen und eine Flugannullierung rechtfertigen, wenn der Luftverkehrsgesellschaften keine Mittel zur Verfügung stehen, die streikbedingten Beeinträchtigungen abzuwenden oder zu kompensieren. Andererseits rechtfertigt es die Annullierung eines Fluges nicht, wenn durch die Streiks Verzögerungen eintreten und nicht alle Passagiere abgefertigt werden können (BGH, Urteil vom 04.09.2018, X ZR 111/17; in diesem Sinne schon EuGH, Urteil vom 04.10.2012, C-22/11).

Schon ein angedrohter Pilotenstreik ist ein außergewöhnlicher Umstand und das Luftverkehrsunternehmen muss keine Ausgleichszahlungen für die Annullierung derjenigen Flüge leisten, die abgesagt wurden, um den Flugplan an die zu erwartenden Auswirkungen des Streikaufrufs anzupassen (BGH, Urteil vom 21.08.2012, X ZR 138/11).

Update 22.03.2021: Der Europäische Gerichtshof hat hingegen entscheiden, dass ein Pilotenstreik zur Verbesserung der Vergütung oder Arbeitszeiten für das Unternehmen Teil der normalen Tätigkeit ist und damit keine außergewöhnlichen Umstände vorliegen. Die Rechtsprechung des BGH wird daher keinen Bestand haben können.

EuGH C-28/20

Bei einem sogenannten wilden Streik von Mitarbeitern (massenhafte Krankmeldungen von TUI-Piloten) hat der Europäische Gerichtshof (Urteil vom 17.04.2018, C-195/17) entschieden, dass dies nicht unter den Begriff der außergewöhnlichen Umstände fällt, wenn der wilde Streik auf eine überraschende Ankündigung von Umstrukturierungsplänen zurückgeht und einem Aufruf folgt, der nicht von Arbeitnehmervertretern des Luftfahrtunternehmens verbreitet wird, sondern spontan von den Arbeitnehmern selbst, die sich krank meldeten.

Einen überlasteter Flugraum aufgrund Fluglotsenmangels und weitreichender Radarausfälle stellt einen außergewöhnlichen Umstand dar (BGH, Urteil vom 12.06.2014, X ZR 104/13). Gleiches gilt bei Verspätung oder Flugannullierung wegen eines Fluglotsenstreiks (BGH, Urteil vom 12.06.2014, X ZR 121/13).

Und auch wenn die Verspätung eines Fluges darauf zurückzuführen ist, dass das pünktlich gestartete Flugzeug am Ankunftsflughafen keine Landeerlaubnis erhält und dadurch der Anschlussflug verpasst wird, kann sich die Fluggesellschaft auf außergewöhnliche Umstände berufen (BGH, Urteil vom 13.11.2013, X ZR 115/12).

Annulliert eine Fluggesellschaft einen Zubringerflug und gibt neue Flugscheine für den Folgetag aus, sodass der Reisende einen Tag verspätet am Ziel ankommt, begründet hingegen keine außergewöhnlichen Umstände. Die Entschädigung bemisst sich in diesem Fall nach der Gesamtreisestrecke, nicht der Strecke des Zubringerfluges (BGH, Urteil vom 14.10.2010, X a ZA 15/10).

Wird ein Flugzeugreifen durch eine Fremdkörper auf dem Rollfeld beschädigt und muss der Flug annulliert werden oder mit erheblicher Verspätung fortgesetzt werden, stellt dies eine außergewöhnliche Situation dar, wenn dem Luftfahrtunternehmen der Nachweis gelingt, dass es alle ihm zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Mittel eingesetzt hat, um zu vermeiden, dass der Austausch des Reifens durch einen Fremdkörper auf dem Rollfeld zur großen Verspätung führt (EuGH, Urteil vom 04.04.2019, C-501/17).

UPDATE September 2019: Wird ein Flugzeugreifen bei Start oder Landung durch einen Fremdkörper beschädigt, stellt dies keinen außergewöhnlichen Umstand dar (BGH, Urteil vom 04.06.2019, X ZR 22/18).

Fluggesellschaften sind für das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände vor Gericht beweisbelastet. Sie müssen also vortragen und gegebenenfalls auch beweisen, dass ein außergewöhnlicher Umstand vorlag und dass es ihnen nicht möglich war, die Verspätung oder Annullierung durch geeignete und zumutbare Maßnahmen zu vermeiden.

Häufig werden derartige Umstände schlicht nur behauptet, lassen Sie sich nicht entmutigen.

Die Gesellschaft, bei der sie den Flug gebucht haben, bleibt auch Ansprechpartner für eine Ausgleichszahlung, wenn sie einen Teil der Flugleistung gar nicht selbst erbracht hat, sondern ein weiteres Unternehmen eingeschaltet hat. Sie müssen sich also nicht bei gestaffelten Flügen mit mehreren Gesellschaften auseinandersetzen. Update September 2019: So entschied jüngst der BGH (Urteil vom 16.04.2019, X ZR 93/18); dies gilt auch dann, wenn ein einheitlich gebuchter Flug über Drittstaaten führt.

Fazit:

Auch wenn Luftverkehrsgesellschaften versuchen, sich über die Behauptungen außergewöhnlicher Umstände aus der Verpflichtung zur Ausgleichszahlung zu flüchten, trifft dies in vielen Fällen nicht zu.

Lassen Sie sich daher nicht entmutigen, beauftragen Sie einen Rechtsanwalt und häufig reicht allein schon dessen Einschaltung, um die Gesellschaften umzustimmen.

Es gibt im Internet auch Gesellschaften, die eine kostenlose Geltendmachung ihrer Ansprüche versprechen, aber für den Fall, dass tatsächlich Ansprüche bestehen, werden Provisionen um die 30 % verlangt. Wenn Sie mit einer 4-köpfigen Familie einen Anspruch von 2400 € haben, bedeutet dies einen Verlust von 800 €. Die Prüfung eines solchen Anspruchs durch einen Anwalt erhalten Sie bei moderater Abrechnung für weniger als 20 % dieser Provision und wenn sich Erfolgsaussichten darstellen, müssen am Ende die Anwaltsgebühren auch von der Reisegesellschaft übernommen werden, sofern Sie selbst eine Zahlung gefordert haben, deren Zahlungsfrist von der Fluggesellschaft überschritten wurde.

Geiz ist eben nicht geil und führt auch nicht immer zu einer deutlichen Einsparung.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert